Die Geschichte des Daimler-Benz Flugmotorenwerkes Genshagen
Im Jahre 1936, also vor 85 Jahren, begann eine Entwicklung, die den heutigen Status Ludwigsfeldes als Industriestadt begründet. Fast 200 Jahre passierte kaum etwas in der kleinen Siedlung rund um den „Alten Krug“, doch 30 Jahre nach der Werksgründung konnte sich der Ort schon „Stadt“ nennen. Wie konnte das so schnell geschehen? Die Grundlage dafür schuf zu einem nicht unerheblichen Teil die Firma Daimler-Benz AG.
1936 war die Gemeinde Ludwigsfelde ziemlich unbedeutend. Sie erlangte gerade 9 Jahre vorher ihre kommunale Selbständigkeit, zählte lediglich knapp 500 Einwohner und war räumlich begrenzt auf das Gebiet zwischen Bahnhof und der Straße vor dem Alten Krug bzw. ein Stück in die Genshagener Straße hinein. Es sind aber gerade neu parzellierte Gebiete hinzugekommen. Das waren das Flussviertel, die Grundstücke zwischen heutigem A.-Saefkow-Ring und Straße der Jugend sowie zwischen Ringstraße und R.-Breitscheid-Straße. Es handelte sich dabei aber meist nur um Gärten, die wenigsten davon waren mit festen Wohnhäusern bebaut.
Die Potsdamer Straße war bereits als Betonstraße befestigt, nur schmaler als heute und die Autobahn ist gerade im Bau. Bis auf die gerade erwähnten Orte stieß man links und rechts der Potsdamer Straße nur auf Wald. So muss man sich die Ausgangslage des Ortes vorstellen.
Die Ausgangslage, als im nahen Berlin Vertreter des Reichsministeriums der Luftfahrt und der Daimler-Benz AG die Gründung der Daimler-Benz Motoren GmbH Genshagen beschlossen. Doch die Geschichte beginnt etwas früher.
Der Beginn
Direkt nach der Machtübernahme begannen auch die Aufrüstungsbemühungen der nationalsozialistischen Regierung. Ende 1933/Anfang 1934 nahm das Reichsluftfahrtministerium (RLM) Kontakt mit der Daimler-Benz AG (DBAG) auf, um die Strategie der zukünftigen Flugmotorenproduktion festzulegen. Ein erster Plan, das Werk in Marienfelde zu erweitern wurde seitens des RLM schon im April 1934 wieder verworfen. In Berlin sollten keine weiteren Flugmotorenfabriken mehr errichtet werden. Marienfelde wurde, wie der Standort Untertürkheim auch, lediglich ausgebaut.
Ab Juli/August 1935 wurde dann das Projekt „Großmotorenwerk“ ernsthafter verfolgt. Der Aufsichtsrat erkannte, dass ein solches Projekt nur mit einer anderen Rechtsform, der GmbH, durchführbar ist. Es folgten langwierige Verhandlungen mit dem RLM. Während dieser Zeit wurde auch ein Standort gefunden – die Genshagener Heide nördlich von Ludwigsfelde.
Der formelle Auftrag zur Ausarbeitung eines Großmotorenwerkes war bereits im Oktober 1935 erteilt worden, der Bauauftrag folgte einen Monat später. Es begannen Geländeerkundung, Vermessung und Planung. Vorgesehen waren zwei Baustufen, von denen jede für sich eine komplette Produktionslinie umfasste. Damit sollte bei Kriegsschäden ein Totalausfall vermieden werden. Zu jeder der in den beiden Baustufen gebauten Fabriken gehörten:
- drei 6.000 m2 große Hallen für die mechanische Bearbeitung,
- eine Werkzeughalle,
- zwei Montagehallen,
- zwei Prüfstandsgruppen mit je 14 Prüfständen,
- eine Pumpanlage und
- mind. ein Speisehaus.
Innerhalb der zweiten Baustufe wurden dann zusätzlich Anlagen errichtet, die zum unmittelbaren Produktionsstart nicht erforderlich waren, wie:
- Verwaltung,
- Feuerwehr,
- Rettungsstelle,
- Werkschutz,
- Pförtnerhäuser,
- Trafostationen,
- Tankanlagen.
Gemeinsam sollten Abteilungen wie:
- Rohlager,
- Versandhallen,
- Werkzeugbau,
- Härterei
- Kleinteile
- Verwaltung
- Feuerwehr
- Trafostationen u. dgl.
genutzt werden. Dazu kamen Nebenanlagen wie
- Kesselanlage,
- Wasserwerk,
- Großküche.
Im Januar 1936 erfolgte der erste Spatenstich.
Erst im Januar 1936 konnte letztendlich nach sechsmonatigen Verhandlungen die Gründung der „Daimler-Benz Motoren GmbH Genshagen“ verkündet werden. Das RLM finanzierte den gesamten Bau und die erste Investitionsausstattung und schoss weitere 30 Mio. RM als Liefervorauszahlung hinzu. Zum Beteiligungswert von 1 Mio. RM war der Daimler-Benz AG das damals modernste und größte Flugmotorenwerk Europas nahezu geschenkt.
Mitte Mai 1936 standen bereits die ersten Werkstätten. Mitte Juli 1936 begann der Bau der ersten Halle, im September konnte man schon Richtfest feiern. Nach etwa einjähriger Bauzeit war das Werk fast komplett aufgebaut und produktionsfähig.
Die Infrastruktur des Werkes
Das gesamte von der DBAG erworbene Gelände umfasste eine Größe von etwa 375 ha und war aus Gründen der optimalen Tarnung komplett mit Wald bewachsen, was dem Betrieb auch den Namen „Waldwerk“ bescherte. Das Gelände wurde doppelt eingezäunt und rund um die Uhr bewacht.
Betretbar war das Gebiet zunächst nur über 4 Eingänge: im Norden (heute Nordausgang des Industrieparks), im Osten (Birkengrund, Nähe Brücke), im Süden (Str. d. Jugend Nähe FFW) und im Westen (Brandenburgische Str. Ecke Potsdamer Straße). Die Länge des Weges von der Nord- zur Südwache betrug 3,5 km, von der Ost- zur Westwache immerhin noch 2,8 km. Die Straßen und Wege innerhalb des Werksgeländes waren eher schmal angelegt, um aus der Luft schwerer erkennbar zu sein. Insgesamt hatte das Wegenetz eine Länge von 19 km. Es verwundert daher kaum, dass auch eine Buslinie im Werk verkehrte.
Zum Zwecke des internen Transports von Material, Teilen und fertigen Motoren diente eine eigene Werkbahn. Die Gleisanlagen dafür hatten eine Länge von insgesamt 9 km. Das Bahnnetz erstreckte sich von der heutigen Albert-Schweitzer-Straße im Süden, an der auf der kompletten Länge ein Gleis verlief, bis weit in den Norden des heutigen Industrieparks.
Für die gut ausgestattete Werkfeuerwehr existierte eine Wasserringleitung mit Oberflurhydranten im Abstand von 150 m über das Werk verteilt. Zusätzlich waren eine Reihe von Löschwasserteichen angelegt worden. Das klingt übertrieben vorsichtig, doch man muss bedenken, dass man sich innerhalb eines Waldes befand. An den Luftschutz wurde schon durch die Wahl des Standortes gedacht, doch auch unter den meisten Hallen gab es Luftschutzräume. Sie befanden sich jeweils unter dem Teil der Halle, wo keine Maschinen standen. Die Räume waren ausgestattet mit Notbeleuchtung, Frischwassergefäßen, Hausapotheken u. ä.
Die meisten Arbeitskräfte wohnten in der Berliner Gegend sowie den südlichen Vororten und mussten das Werk schnell und günstig erreichen. Daimler-Benz hatte dazu bereits Ende 1935 bei der Reichsbahndirektion Berlin die Einrichtung eines Arbeiterzugverkehrs und eine Anschlussbahn für den Güterverkehr beantragt. Es sollten Sonderzüge morgens von Lichterfelde-Ost nach Genshagener Heide verkehren, tagsüber am Bahnhof Ahrensdorf abgestellt werden und am Abend wieder zurückfahren. Dazu wurde der Bahnhof Genshagener Heide als Werkbahnhof errichtet. Für drei neue Abstellgleise musste der Einschnitt am Bahnhof Ahrensdorf vergrößert werden. Der Aushub konnte für den Bau des Bahnhofs verwendet werden. Zusätzlich war in Lichterfelde-Ost noch die Verlängerung eines Bahnsteiges und der Bau einer Fußgängerunterführung nötig. Alle Arbeiten waren bis Anfang August 1936 abgeschlossen und der Bahnhof konnte in Betrieb gehen. Die Arbeiter waren damit vom Bahnsteig in wenigen Schritten über einen neu geschaffenen Eingang im Werksgelände. Das Anschlussgleis wurde ebenfalls gebaut.
1937 beantragte Daimler-Benz bei der Reichsbahndirektion einen zweiten Werkbahnhof. Dieser sollte in unmittelbarer Nähe der Ostwache gebaut werden. Im Dezember 1938 konnte der Haltepunkt Birkengrund mit zwei überdachten Bahnsteigen und Fußgängerbrücke in Betrieb gehen.
Bedeutend für die Infrastruktur des Werkes war dann schließlich noch der Bau der Vorortstrecke von Lichterfelde-Ost bis Ludwigsfelde. Im Zuge dessen wurde der Haltepunkt Birkengrund in Birkengrund Süd umbenannt und der Haltepunkt Birkengrund Nord neu errichtet. Dies war im August 1943 vollendet worden.
Die Produktion
Der erste Motor lief bereits im Februar 1937 vom Band. Die Teile dafür lieferte noch das Werk in Marienfelde, doch schon zwei Monate später wurde mit selbst gefertigten Teilen produziert. Zunächst wurden mehrheitlich Motoren vom Typ DB 600, die bereits seit zwei Jahren in Berlin-Marienfelde gebaut wurden, produziert. Bis zum Ende des Jahres 1937 wurden in Genshagen bereits 428 Flugmotoren gefertigt. Geplant waren allerdings 690 Stück DB 600 und 185 Stück DB 601. Lieferengpässe waren die Ursache.
Im Folgejahr wurde die Produktion auf das 1934 entwickelte Nachfolgemodell DB 601 umgestellt, die Jahresproduktion betrug nun 1.427 Stück. Anfang 1941 begann die Fertigung des Doppelmotors DB 606 (zwei gekoppelte DB 601), kurz darauf die Vorserienfertigung des DB 605. Wegen Schwierigkeiten bei der Produktionsumstellung wurden in diesem Jahr allerdings noch vorwiegend Motoren des Typs DB 601 gebaut. Ab 1942 wurden dann der DB 603, der DB 605 und der Doppelmotor DB 610 (zwei gekoppelte DB 605) in Genshagen gefertigt – insgesamt 4.920 Stück. Im darauffolgenden Jahr konnte die Produktion noch einmal erheblich gesteigert werden. 1943 konnten 7.796 Einzelmotoren ausgeliefert werden, 1944 (trotz erheblicher Schäden durch einen Bombenangriff) waren es gar 10.535. Die Gesamtmenge der in Genshagen zwischen 1937 und 1944 produzierten Motoren betrug 34.096 Stück.
Was etwas verwundert ist die Tatsache, dass die Genshagener Flugmotoren auch exportiert wurden. Natürlich durfte nur an verbündete Länder verkauft werden. Es lohnte sich aber für den Betrieb, denn im Ausland konnten höhere Preise verlangt werden gegenüber denen in Deutschland. Für einen Motor des Typs DB 601 betrug 1941 der günstigste Preis (für das RLM) 28.800 RM, was einem heutigen Wert von 118.080 € entspricht. Ab 1938 durfte auch der DB 601 exportiert werden. Empfänger waren die Türkei, Jugoslawien, die Schweiz, Holland, Rumänien und Japan. Sogar noch nach Kriegsausbruch ging der Export weiter. Erst am 21.03.1940 untersagte das RLM durch Weisung den weiteren Export.
Die Arbeitskräfte – eine Zwei-Klassen-Gesellschaft
Schon vor Baubeginn des Werkes machte man sich Gedanken über die zukünftigen Arbeitskräfte. Es war geplant, in Berlin-Marienfelde einen Facharbeiterstamm für Genshagen auszubilden. Über Motorenreparaturen sollten die Arbeiter ihre Fachkenntnisse erlangen. Weiterhin wurde die zuständige Abteilung im Arbeitsamt Trebbin auf 6, später 9 weitere Mitarbeiter aufgestockt, um hier neue Kräfte zu rekrutieren. Bereits erfahrene Fachkräfte kamen aus den Werken in Gaggenau und Untertürkheim hierher in den Norden. Ansonsten kamen die Arbeiter aus den umliegenden Orten, zu zwei Dritteln aber aus Berlin.
Es wurden auch ungelernte Arbeitskräfte engagiert oder solche aus vollkommen anderen Berufsgruppen – heute würde man sie Quereinsteiger nennen. Dazu gab es im Werk eine eigene Anlernwerkstatt, die bis zum Sommer 1937 1.150 Arbeitskräfte auf ihre zukünftigen Tätigkeiten umschulte. Im Folgejahr wurden schon Militärschüler ausgebildet, die in der direkt vor den Werkstoren errichteten, Fliegertechnischen Vorschule untergebracht waren. 1939 wurde die Lehrwerkstatt noch einmal ausgebaut.
Die Entwicklung der Arbeitskräftezahl verlief rasant. Es begann mit 22 Mitarbeitern im Januar 1936, am Ende des Jahres waren es bereits 2.330 und Ende 1937 zählte die Belegschaft 5.437 Mitarbeiter. Für das Jahr 1940, als die Mitarbeiterzahl 8.096 betrug, lässt sich resümieren, dass ein Sechstel davon Frauen waren. 37% waren Facharbeiter, 25% angelernte und 19% ungelernte Arbeiter. Die komplette männliche Belegschaft des Werkes war übrigens Mitglied des Nationalsozialistischen Fliegerkorps. Der monatliche Beitrag von 1 RM wurde ihnen automatisch vom Lohn abgezogen.
Die Arbeits- und sozialen Bedingungen waren für damalige Verhältnisse recht angenehm gestaltet. Die Wochenarbeitszeit betrug 48 Stunden, die Löhne und Gehälter lagen deutlich über den üblichen Tariflöhnen. Leicht- und Schwerbeschädigte erhielten 3 Tage mehr Urlaub, Frauen konnten alle 2 Wochen einen Nachmittag frei nehmen und es wurden eine Reihe von finanziellen Unterstützungen z. B. bei Tod, Betriebsunfällen, Geburten, Heirat usw. gezahlt. Sogar Röntgenreihenuntersuchungen wurden durchgeführt. Mütter konnten ihre Kinder in einem Werkskindergarten betreuen lassen (in der heutigen Gebrüder-Grimm-Grundschule). Dies alles galt natürlich nur für die deutschen Mitarbeiter. Sicher auch aus den eben genannten Gründen wurde das Werk 1939 als „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“ ausgezeichnet.
Probleme bekam das Flugmotorenwerk durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Die Produktion sollte erhöht werden. Technisch war man darauf vorbereitet, doch der Arbeitsmarkt war leergefegt. Viele erfahrene Kräfte sollten nun in anderen Werken arbeiten oder wurden zur Wehrmacht eingezogen. Nun begann der Einsatz anderer Arbeitskräfte.
Ab 1941 wurden von Daimler-Benz Fremd- und Zwangsarbeiter angefordert und eingesetzt. Es handelte sich dabei anfangs um freiwillige Zivilarbeiter, die aus den von den Deutschen besetzten Gebieten kamen, doch auch Kriegsgefangene wurden entgegen den Vorschriften der auch von den Deutschen unterzeichneten Genfer Konvention von 1929 zur Arbeit im Werk verpflichtet. Im Folgejahr kamen dann sog. Ostarbeiter dazu – aus den sowjetischen Gebieten verschleppte Arbeiterinnen und Arbeiter. Eine Zeit lang haben auch noch die 1.200 Insassen eines SS-Straflagers in Ludwigsfelde für das Flugmotorenwerk arbeiten müssen. Es handelte sich dabei um ein Zweiglager des Lagers Danzig-Matzkau für straffällig gewordene SS- und Polizeiangehörige. Schließlich wurden kurz vor Kriegsende auch noch 1.100 Frauen und Mädchen aus dem KZ Ravensbrück nach Genshagen gebracht und hier eingesetzt.
In der Behandlung der Fremdarbeiter galt eine sehr feine Abstufung. Relativ gut ging es den freiwilligen Zivilarbeitern. Sie konnten sich frei bewegen, während alle anderen eingesperrt und bewacht wurden. Das Gelände für die KZ-Häftlinge war gar mit einem Elektrozaun gesichert. Die Zwangsarbeiter erhielten lediglich eine Mahlzeit täglich am Abend in ihrem Lager. Gefangene, die es schafften, von Feldern Kartoffeln zu stehlen und dabei erwischt wurden, erwartete der Tod durch Erschießen. Die Frauen aus dem KZ-Außenlager waren nur mit unzureichender Kleidung ausgestattet, teils hing sie in Fetzen herunter. Um sich gegen die Kälte zu schützen, stopften sich einige von ihnen Lumpen, die sie in den Abfällen fanden, darunter, doch selbst das war verboten. Die Liste könnte leider noch lange fortgesetzt werden.
Untergebracht waren all diese ausländischen Arbeiter in Lagern im Werk selbst, in Ludwigsfelde, in Birkengrund, in Trebbin, in Großbeeren, in Luckenwalde, in Lichterfelde-Ost und in Berlin-Tiergarten. Mit 7.814 ausländischen Zwangsarbeitern im Jahr 1944 war die Zahl höher als die der deutschen Arbeitskräfte mit 6.625 Arbeitern.
Tatsächlich gab es aus den Reihen der deutschen Arbeiter auch Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Hineingetragen ins Werk wurde er aus Berlin. Dort existierte eine Widerstandsgruppe mit der Bezeichnung Kampfbund. Der Zelle in Genshagen gehörten etwa 30 Arbeiter an. Die führenden Köpfe waren Arthur Ladwig und Ernst Kühn. Es wurden Flugblätter gedruckt und Aufklärungsarbeit geleistet. Die Gruppe flog durch Verrat auf und die führenden Köpfe wurden hingerichtet. In der DDR-Zeit wurde Arthur Ladwig in Ludwigsfelde geehrt. Unser Klubhaus und eine Schule waren nach ihm benannt. Heute trägt noch eine Straße seinen Namen.
Die Veränderungen in Ludwigsfelde
Als eine der ersten Veränderungen zu Beginn des Jahres 1936 dürfte den Ludwigsfeldern der Zaun entlang des Hirschweges oder der Potsdamer Straße aufgefallen sein, der sie daran hinderte, im benachbarten Wald z. B. Holz zu holen. Oder dass der alte Weg nach Großbeeren (heute Brandenburgische Straße) plötzlich versperrt war. Doch kurze Zeit später begannen auch schon deutlich sichtbare Bauarbeiten ganz in der Nähe des Autobahndammes. An der heutigen Straße der Jugend wurden die ersten Werkswohnungen für Fach- und Führungskräfte gebaut. Die kleine Werkssiedlung bestand aus 29 Häusern mit insgesamt 63 Mietwohnungen. Auch ein „Kameradschaftshaus“ (zur Freizeitgestaltung) und die dahinter befindliche Großküche des Flugmotorenwerkes entstanden am Rande dieser Siedlung. Noch im selben Jahr machte man sich an den Bau einer zweiten, bedeutend größeren Siedlung zwischen Siethener Straße und Gebrüder-Grimm-Grundschule. 330 Einzelhäuser, 60 Doppelhäuser und 40 Angestelltenhäuser sollten hier entstehen. Im November 1937 wurde ein gemeinsames Richtfest für 400 Häuser gefeiert. Die Einwohnerzahl Ludwigsfeldes hatte sich nun innerhalb eines Jahres mehr als verdoppelt.
Unser Bürgermeister machte sich inzwischen zurecht einige Sorgen. Mit den vielen Familien, die nun nach Ludwigsfelde ziehen werden, werden auch viele Kinder hierherkommen, doch an einer Schule für diese hohe Schülerzahl mangelte es hier. Der Ort hatte damals überhaupt keine Schule, die Kinder aus Ludwigsfelde besuchten Schulen in den Nachbardörfern: Genshagen, Löwenbruch oder Struveshof. Einige fuhren gar mit der Bahn nach Berlin. Daimler-Benz sah sich hier nicht in der Pflicht. Nach zähen Verhandlungen mit Gemeinde und Landrat wurde der geforderte Schulneubau aber durchgesetzt. Als Übergangslösung errichtete Daimler-Benz eine (unbeheizte) Baracke für den Schulbetrieb, im Volksmund schnell „Bretterschule“ genannt. Sie befand sich an der Potsdamer Straße etwa gegenüber der Ausfahrt von „Penny“ und wurde im Mai 1937 eröffnet. Ein gutes Jahr später war dann auch der eigentliche Schulneubau abgeschlossen und am 13.08.1938 wurde die Hermann-Löns-Schule (heute Gebrüder-Grimm-Grundschule) eröffnet.
In der großen Werkssiedlung entstanden einige wenige Einkaufsmöglichkeiten. Mittlerweile lebten nun schon mehr als 3.200 Bürger in Ludwigsfelde. 1939 wird die Erweiterung der großen Werkssiedlung begonnen. An der Thälmannstraße, der Schulstraße, der Theaterstraße und der Potsdamer Straße werden Mehrfamilienhäuser gebaut – 552 zusätzliche Wohnungen sollen entstehen. In diesem Rahmen kommt es auch zum Bau einer weiteren Schule (heute Gymnasium). Sogar ein Kino wurde an der Potsdamer Straße Ecke Theaterstraße eröffnet. Andere kulturell angehauchte Veranstaltungen fanden ab und an in der Turnhalle der Hermann-Löns-Schule statt, Vereine trafen sich meist in den Gaststätten zu ihren Versammlungen. Sonst war in dieser Hinsicht nicht viel Leben im Dorfe.
Anfang der vierziger Jahre wurden dann in Ludwigsfelde nicht nur schicke Häuser und Wohnungen gebaut, sondern auch jede Menge Baracken – es kamen die Fremdarbeiter, die bei Daimler-Benz tätig waren. Im Juni 1942 stellte Daimler-Benz der Ordnung halber beim Landratsamt Bauanträge für 3 Barackenlager in Ludwigsfelde, obwohl diese tlw. bereits fertig waren:
- Lager „Ostwache“ für 2.000 Mann: Gelegen gegenüber dem heutigen Oberstufenzentrum, verfügte es über 22 Unterkunftsbaracken. Es war für Zwangsarbeiter aus westeuropäischen Ländern vorgesehen und war fertiggestellt. Teile davon stammten noch aus der Zeit des Autobahnbaus und waren damals für die beteiligten Arbeiter gebaut worden.
- Lager „Bahnhof“ für 1.200 Mann: Hierbei muss erwähnt werden, dass es sich dabei nicht nur um die beantragten 10 Unterkunftsbaracken (+ Wirtschaftsbaracken) handelte, es war ein Lagerkomplex, zu dem auch ein Kriegsgefangenenlager und ein weiteres Zwangsarbeiterlager gehörten. Der Komplex lag an der Potsdamer Straße beginnend etwa an der M.-Gorki-Straße bis hin gegenüber zur Theaterstraße, von dort schräg an die Autobahn und hatte eine Tiefe bis etwa an die Fontane-Schule. Im Gefangenenlager (Stalag III A / 483 C) waren zunächst französische, später italienische Kriegsgefangene (etwa 1.200 Mann) untergebracht, in dem genannten beantragten Lager zunächst russische Zwangsarbeiterinnen, später SS-Strafgefangene (etwa 1.200 Mann) und schließlich ab September 1944 die KZ-Häftlingsfrauen aus Ravensbrück. Im November 1944 wurden dann etwa 500 von ihnen in die Kellerräume der Halle 24 des Werkes gesperrt. Noch im gleichen Monat brannten zwei Baracken im Lager ab und auch die übrigen KZ-Häftlinge wurden in die Keller der Halle 24 verbracht. Eine der Baracken schaffte es, noch bis nach der Wende, zuletzt als Sitz des Rates der Stadt, zu „überleben“
- Lager „Ostmark“ für 2.000 Mann: Das waren 21 Unterkunftsbaracken (+ Wirtschaftsbaracken). Ein Teil davon sollte als „Frauenlager“ dienen. Untergebracht waren hier sog. „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“. Das Lager erstreckte sich entlang der Potsdamer Straße etwa vom heutigen Mittelganghaus bis zum Hochhaus, in der Tiefe bis etwa an die Daimler-OS.
Insgesamt gab es 6 Lager (ohne Kriegsgefangenenlager) in Ludwigsfelde. Im Oktober 1942 wird für Ludwigsfelde eine Einwohnerzahl von 10.201 und damit eine Zunahme von 2.000 im abgelaufenen Vierteljahr veröffentlicht. Es kann angenommen werden, dass hier vor allem in Ludwigsfelde untergebrachte Fremdarbeiter in die Zählung eingeflossen sind.
Im Krieg stiegen die Produktionsanforderungen noch einmal sehr stark an. Arbeitskräfte mit guten Fachkenntnissen waren rar. Es wurde viel versucht, um neue Arbeitskräfte zu gewinnen, teil durch Abwerben, teils durch Anfordern aus anderen Betrieben über das RLM mit der Kriegswichtigkeit des Betriebes als Begründung. Für diese potenziellen neuen Arbeitskräfte sollte natürlich auch genügend Wohnraum zur Verfügung stehen. In den Jahren 1941/42 begannen die Planungen für eine weitere Siedlung innerhalb von Ludwigsfelde. Material und Arbeitskräfte waren nun nicht mehr grenzenlos verfügbar. Man entschied sich daher für Holzhäuser. Da das Holz bei anderen Projekten dieser Art häufig aus Skandinavien stammte, wurden die Häuser oft auch als „Finnenhäuser“ bezeichnet. Hier in Ludwigsfelde war das RLM für die Beschaffung des Materials zuständig und es lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, woher das Holz stammte.
151 Gebäude mit insgesamt 302 Wohnungen sollten entstehen. 1943 konnten bereits die ersten Häuser bezogen werden. Für die Bauarbeiten wurden auch Zwangsarbeiter eingesetzt. Trotzdem konnte der Plan nicht erfüllt werden, denn bis zum Kriegsende konnten nur 79 Häuser fertiggestellt werden.
Die allgemeine Lebensqualität nahm, wie sich einige der alten Ludwigsfelder sicher noch erinnern können, in den letzten Kriegsjahren immer mehr ab. An die ständige Geräuschemission von den Motoren auf den Prüfständen im Werk hatte man sich vielleicht schon gewöhnt, doch mit den zunehmenden Luftangriffen gab es auch öfter Einnebelungen, die sich äußerst schädlich auf die Atemwege auswirkten, tägliche Verdunklungen und auch mal stundenlanges Ausharren im Luftschutzkeller. Zudem gab es seit Kriegsbeginn Lebensmittel und Kleidung nur noch gegen Bezugsschein und ob man noch etwas bekam, war damit nicht garantiert. Leider kam es in Ludwigsfelde auch zu einzelnen Bombentreffern. Im Struveshof starben am 27.03.1943 17 Menschen, die meisten davon waren noch Kinder.
Der Werksausbau 1941
Das Flugmotorenwerk Genshagen war anfangs für eine monatliche Produktion von 300 Motoren „im Ernstfall“ geplant worden. Nun, da der Ernstfall, nämlich der Krieg, eingetreten war, zeigte sich aber, dass diese Zahl nicht ausreichen wird. Die Wünsche bzw. Forderungen seitens des RLM waren immens. Konkret existierte da das Programm „15940“, das einen Kapazitätsausbau auf monatlich 800 Motoren vorsah. Dieses sollte Mitte 1941 durch das „Elchprogramm“ und das daran anschließende „Hermann-Göring-Programm“ mit einer Motorenausbringung von monatlich 1.200 Stück abgelöst werden. Voraussetzung war der Bau neuer Produktionsanlagen.
1941 begannen die Bauarbeiten im Werk. Das Gelände wurde dafür nicht vergrößert. Die Planung umfasste folgende Bauten:
- eine Großmontagehalle mit einer Fläche von 28.000 m2, die spätere Halle 24, auch „Deutschlandhalle“ genannt,
- 16 neue Motorenprüfstände
- Wasch- und Umkleideräume für 600 Personen in 10 Hallen
- Verdoppelung der Rohlagerhallenfläche
- ein neues Materialprüfungsgebäude
- Vergrößerung der Härterei um das Doppelte
- Vergrößerung des Öllagers um das 1,5 fache
- Ausbau der Lehrwerkstatt
- Vergrößerung des Kesselhauses, Bau einer Fernleitung
- Vergrößerung der Arztstation
- Vergrößerung des Lokschuppens
- Neubau einer Küchenanlage
- Ausbau der Büroflächen und der Telefonzentrale
- Vergrößerung der Werkssiedlung um ca. 40 Wohnungen
- Fertigstellung eines kleinen Sportzentrums und
- Erweiterung der Gleisanlagen am Übergabebahnhof (Genshagener Heide).
Im Dezember 1942 konnte der neue Vorstandsvorsitzende der Daimler-Benz AG, Dr. Wilhelm Haspel, berichten, dass sich das Werk Genshagen mit seiner erweiterten Produktion in gutem Anlauf befindet.
Die Auslagerung des Werkes
Mit andauerndem Verlauf des Krieges kam es auch immer öfter zu alliierten Bombenangriffen auf deutsche Industriezentren. Ende 1942 wurde per Durchführungserlass beschlossen, zur Verhütung von Fertigungsausfällen die Produktionsstätten in weniger gefährdete Gebiete auszulagern. Dazu wurde am 01. März 1944 beim RLM ein sog. „Jägerstab“ gebildet, der die notwendigen Entscheidungen treffen sollte.
Schon am 06.03.1944 wurde das Werk trotz baulicher Tarnung und aufgelockerter Bauweise immerhin so schwer getroffen, dass starke Lieferverzögerungen eintraten. Andere Betriebe mussten als Lizenznehmer einspringen, doch eine Auslagerung war nun unumgänglich. Dank der Arbeit des Jägerstabes gab es auch schon Vorschläge für passende Orte.
Im Allgemeinen wurden für diese Auslagerungsorte Tarnnamen vergeben, für das Flugmotorenwerk Genshagen wurde die Verlagerung nach „Schachtelhalm I“, nach „Goldfisch“, nach „Nelke“ und nach „Hai“ beschlossen. Ein weiterer, im Gegensatz zu dem anderen, nicht unterirdischen Ort wurde wieder aufgegeben.
Beim Codenamen „Hai“ handelte es sich um die im lothringischen Erzgebiet bei Deutsch-Oth in der Nähe des luxemburgischen Esch gelegene Grube „Rothe Erde“. Wegen der jedoch zu hohen Feuchtigkeit darin, die nicht mit den Präzisionsmaschinen vereinbar war, verwarf Daimler-Benz am 19.05.1944 diesen Ort.
„Nelke“, der Standort Hochwald in den unterirdischen Artilleriewerken der Maginot-Linie produzierte gerade mal von Juni bis August 1944. Dann musste man sich weiter Richtung Osten zurückziehen. Die Propellerlangwellen für den DB 603 wurden danach im Autobahntunnel bei Wiesensteig (Auslagerungsobjekt 10) gefertigt. Es handelte sich dabei um den Lämmerbuckeltunnel. Bis April 1945 wurde hier weiterproduziert.
Bei „Schachtelhalm I“ handelt es sich um Teile der Ostbefestigungsanlage in der Nähe von Frankfurt/Oder, genauer, Hochwalde bei Meseritz. Hier wurden auf etwa 17.000 m2 Turbolader gefertigt. Die Arbeits- und Lebensbedingungen waren schlecht. Sowohl die deutschen als auch die ausländischen Arbeiter – alle aus Genshagen zwangsversetzt – mussten in Baracken leben. Etwa 2.500 Arbeitskräfte waren hier tätig, 30 % davon waren Deutsche (Planung vom 28.03.1944). Mit dem weiteren Vorrücken der Frontlinie war schließlich auch das Schicksal von Schachtelhalm I besiegelt.
Für die Errichtung von „Goldfisch“ war die Gipsgrube „Friede“ der Portland-Zementwerke Heidelberg auf staatliche Anordnung hin zur Verfügung gestellt worden. Die Grube befand sich in Südwestdeutschland in der Nähe des Ortes Obrigheim. Hier sollten für die unterirdische Produktion 50.000 m2 bereitgestellt werden. Den Ausbau übernahmen meist Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, genau wie diese auch später maßgeblich zur Produktion beitrugen. Die Planung Stand Juni 1944 sah für Goldfisch 7.000 Arbeitskräfte vor, Ende August waren jedoch gerade einmal 3.000 Arbeitskräfte nach Obrigheim verlegt. So wurden vermehrt KZ-Häftlinge für den Ausbau herangezogen. Ende August 1944 waren 3.000 Häftlinge mit dem Stollenausbau oder dem Straßenbau beschäftigt. Sie stammten aus dem nahe gelegenen KZ-Außenkommando Neckarelz I und seinen Unterkommandos Neckarelz II, Neckargerach, Neckarbischofsheim, Rappenau und Asbach. Insgesamt existierten damals für Goldfisch 13 Lager für KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter, italienische Kriegsgefangene, Westarbeiter und die SS-Strafgefangenen (vorher in Ludwigsfelde im Lager „Bahnhof“ untergebracht).
Abgesehen von der grundsätzlich schlechten Verpflegungs- und Unterbringungssituation stand es auch mit den Arbeitsbedingungen hier nicht zum Besten; allein am 03. September 1944 forderten Bergeinbrüche 28 Todesopfer, darunter auch einige Zwangsarbeiter. In der Teilefertigung waren später noch 1.000 KZ-Häftlinge beschäftigt.
Im Juni 1944 erreichten die ersten 26 Maschinen aus Genshagen den Bahnhof Neckarelz. In den folgenden Wochen wurde die Zahl auf etwa 100 Maschinen täglich gesteigert. Anfang Oktober konnten die ersten fertigen Teile für die Montage ausgeliefert werden. Doch auch Arbeitskräfte wurden in dieser Zeit ständig transportiert. Produziert wurde dort bis Ende März 1945.
Das Ende und die Nachfolger
Die Produktion des Flugmotorenwerkes Genshagen lief Anfang 1944 gerade auf Hochtouren, doch die bereits angeordnete Auslagerung und die zunehmenden Luftangriffe auf Deutschland, Anfang März 1944, wie bereits erwähnt, sogar auf das bis dahin unentdeckt gebliebene Werk selbst, ließen erahnen, dass dies nicht mehr lange so bleiben würde.
Es folgten weitere Bombenangriffe auf das Werk am 18. März und am 21. Juni 1944. Beide richteten kaum Schaden an. Dies änderte sich allerdings erheblich beim nächsten Angriff am 6. August 1944. Am Mittag dieses Sonntages, als aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen nach dem Fliegeralarm keine Einnebelung des Werkes erfolgte, bringen Hunderte von Brand- und Sprengbomben Chaos und Zerstörung vorwiegend über den südlichen Teil des Werkes. Und es sind leider auch Todesopfer zu beklagen. Heute spricht man offiziell von 104 Toten, doch dies sind nur die eine Woche später auf dem Ludwigsfelder Friedhof bestatteten Opfer. Andere Quellen sprechen von Hunderten von Toten. Allein in der Halle 11 kamen 60 Menschen ums Leben. Werkdirektor Sommer beklagte, dass darunter einige seiner besten Einrichter waren. Es ist auch die Rede von 300 tschechischen Frauen, die in einem Schutzraum, der überflutet wurde, ertranken. Sie wurden laut Aussage eines Daimler-Benz-Mitarbeiters nach der Identifizierung in einem Massengrab auf dem Werksgelände im Rahmen einer großen Beerdigung bestattet.
Natürlich wurde auch eine Reihe von Produktionsanlagen und Maschinen zerstört, doch waren bereits etwa 70 % nach Goldfisch ausgelagert. Trotzdem stockte die Produktion zunächst. Insgesamt wurden in Genshagen aber im Jahr 1944 fast 3.000 Motoren mehr als im Vorjahr gefertigt.
Da zunehmend Arbeitskräfte nach Goldfisch abgezogen worden sind, wurden von Daimler-Benz im August 1944 rund 1.000 KZ-Häftlinge, Frauen aus dem KZ Ravensbrück, angefordert. Sie waren zunächst im Ludwigsfelder Lager „Bahnhof“, ab November dann alle in den Kellerräumen der Großmontagehalle 24 untergebracht und wurden für die Montage eingesetzt. Das Gelände rund um die Halle wurde aus diesem Grund extra mit Elektrozaun gesichert. Die Frauen arbeiteten noch bis April 1945 dort.
Der letzte Motor DB 605 wurde in Genshagen im März 1945 gefertigt. Tatsächlich sollte dann noch die Umstellung auf die Produktion von Triebwerken für den Düsenjäger Me 262 erfolgen. Obwohl die Werksleitung dies begrüßte und schon erste Vorbereitungen traf, sollte es dazu nicht mehr kommen. In der Nacht vom 21. zum 22. April 1945 flohen Direktor Sommer und weitere Werksangehörige mit ihren Familien Richtung Westen. Nur Stunden später nahmen sowjetische Truppen Ludwigsfelde ein.
Dank dem geflüchteten Werksdirektor Sommer war das Werk in seiner Grundsubstanz, wenn auch mit Bombenschäden, noch vorhanden. Er verweigerte seinen Beitrag zur „L-Aktion“ (Lähmungsaktion), die die Sprengung der Anlagen vorsah. Es ist nicht abwegig, anzunehmen, dass dieses Rüstungswerk und vor allem seine Größe die Eroberer überrascht haben dürfte, denn es war selbst in deutschen Karten nicht verzeichnet.
Mit Befehl Nr. 1 entstand am 9. Juni 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) als höchstes exekutives, legislatives und judikatives Organ. Auf der Grundlage des Befehl Nr. 124 der Sowjetischen Militär-Administration betreffend Auferlegung der Sequestration und Übernahme in zeitweilige Verwaltung einiger Vermögenskategorien vom 30. Oktober 1945 mit Instruktion vom gleichen Tage wurde die Daimler-Benz Motoren GmbH Genshagen inklusive der Flächen und Anlagen am 8. Januar 1946 beschlagnahmt und war damit Geschichte.
Im Zuge der Reparationsleistungen, die Deutschland an die Siegermächte leisten musste, begann nun die Demontage des Werkes. 2.000 Arbeitskräfte waren im Jahr 1946 damit beschäftigt, im Folgejahr noch etwa 800. Ende 1947 beantragte der damalige Ludwigsfelder Bürgermeister Schenk noch eine Übergabe einer ganzen Reihe von Gebäuden zu Zwecken der Produktion oder Bevölkerungsversorgung. So plante man z. B. in der Großmontagehalle 24 eine Produktion von Baggern für den Braunkohletagebau zu starten. Daraus wurde nichts. Alle Montagehallen wurden gesprengt. Der Erhaltung der Sportanlagen (Waldstadion) und des Wasserwerkes dagegen wurde offensichtlich zugestimmt. In der Personalverwaltung im Nordteil des Werkes sowie einigen kleineren umliegenden Gebäuden sollte ein Krankenhaus für Tuberkulosekranke eingerichtet werden. Die Gebäude sind zwar erhalten geblieben, das Krankenhaus musste aber in drei Baracken in der Nähe des Sportplatzes seinen Platz finden.
Am 19. April 1948 wird das Werksgelände vom Vorsitzenden der Kriegskommandantur des Kreises Teltow an die Gemeinde Ludwigsfelde übergeben. Es handelt sich um 116,8 ha. Den größten Teil mit 248,3 ha erhält die Landesforstverwaltung des Landes Brandenburg. Doch nutzen kann die Gemeinde Ludwigsfelde das Gelände noch immer nicht. Noch ein Jahr später beklagt sie sich nachdrücklich bei der Landesregierung, dass zwei Firmen (eine für die Schrottgewinnung und die andere für die Mauersteingewinnung) das Nutzungsrecht für das gesamte Gelände besitzen.
1951 gab es dann konkrete Pläne für das Gelände, um die Industrie wieder aufleben zu lassen. Auf einem Teil des Geländes des ehemaligen Daimler-Benz Werkes sollte ein neuer Betrieb entstehen. Am 1. März 1952 wurde der VEB Industriewerk Ludwigsfelde (IWL) gegründet.
Das IWL hat während der Zeit seines Bestehens eine sehr breite Palette von Produkten gefertigt. Man begann mit Schiffsdieselmotoren, es folgte die Dieselameise, Militärkübelwagen wurden montiert, 1955 – 1964 wurden recht erfolgreich Motorroller produziert, selbst Strahltriebwerke für die kurze Zeit existierende DDR-Flugzeugindustrie entstanden hier. 1958 wurde zusätzlich der VEB Instandsetzungswerk Ludwigsfelde (INL) gegründet (anfangs noch unter anderen Namen), das für die Reparatur und Wartung militärischer Flugzeugtriebwerke verantwortlich war.
Nach Ende der Rollerproduktion wurde der Betrieb noch einmal kräftig ausgebaut, es gab Planungen für ein neues Produkt. Am 17. Juli 1965 geschahen dann gleich mehrere Dinge: der erste LKW W 50 lief vom Band, das Werk trug ab jetzt den Namen VEB IFA Automobilwerk Ludwigsfelde und Ludwigsfelde wurde auch noch Stadt. 1979 wurde aus dem Werk noch Stammbetrieb des IFA-Kombinates. Bis 1990 werden in Ludwigsfelde mehr als eine halbe Million LKW gefertigt.
Seit 1994 ist Daimler-Benz wieder zurück in Ludwigsfelde und produziert hier erfolgreich in seinem Tochterunternehmen Mercedes-Benz Ludwigsfelde GmbH die offene Variante des Transporters „Sprinter“. Sie sind als Teil eines ganzen Industrieparks mit weiteren großen Betrieben wie MTU oder Gestamp Umformtechnik, sowie einer langen Reihe von kleineren Unternehmen auf einem Teil des ehemaligen Werksgeländes angesiedelt. Ein anderer Teil des alten Geländes liegt heute unter dem Stadtteil Ludwigsfelde-Nord. Doch Spuren von vor 80 Jahren lassen sich auch heute noch finden.
Quellen
- Mitteilungen aus dem Daimler-Benz Archiv: Daimler-Benz Motoren GmbH Genshagen – Ein Flugmotorenwerk bei Berlin, Mercedes-Benz AG 1990 (nicht veröff.)
- Matthias Woeller: Das Flugmotorenwerk Genshagen, in Heimatjahrbuch Teltow-Fläming 1999
- Peter Bley: Eisenbahnen auf dem Teltow, Berlin 2008
- Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts: Das Daimler-Benz Buch – Ein Rüstungskonzern im Tausendjährigen Reich und danach, Nördlingen 1988
- Gerhard Birk: Ein düsteres Kapitel Ludwigsfelder Geschichte 1936 – 1945, Hrg. Arbeitskreis Heimatgeschichte/Ortschronik beim Rat der Stadt Ludwigsfelde 1986
- Deutsche Bundesbank: Kaufkraftäquivalente historischer Beträge in deutschen Währungen (PDF file)
- Barbara Hopmann / Mark Spoerer / Birgit Weitz / Beate Brüninghaus: Zwangsarbeit bei Daimler-Benz, Stuttgart 2017
- BLHA Sig. 2A I S 1412: Durchführung des Gesetzes über einstweilige Maßnahmen zur Ordnung des deutschen Siedlungswesens vom 3. Juli 1934 im Kreise Teltow
- Büro für Architektur und Stadtgeschichte: Gutachten Holzhaussiedlung Ludwigsfelde, Stand 12/93
- Lebensmittelmarke, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Lebensmittelmarke
- Teltower Kreisblatt vom 19.10.1942, über https://zefys.staatsbibliothek-berlin.de
- Internetseite der Forschungsgruppe Untertage e. V.: https://fgut.wordpress.com
- Hans Pohl / Stephanie Habeth-Allhorn / Beate Brüninghaus: Die Daimler-Benz AG in den Jahren 1933 bis 1945 – Eine Dokumentation, Stuttgart 2017
- Zentrale Deutschen Kommission für Sequestrierung und Beschlagnahme in http://www.argus.bstu.bundesarchiv.de/DO3-24411/index.htm
- Günter Gehrmann: Die Industrie in Ludwigsfelde 1936 – 1989, Heft 1: Geschichte der Großbetriebe, Ludwigsfelde, 2004
- Kreisarchiv Teltow-Fläming: Antrag der Gem. Ludwigsfelde um Übereignung, Best. XI.4, Lfd. Nr. 8457
- BLHA Sign. 206 MfWA 385: Übersichten über den Bestand an Maschinen in den einzelnen Firmen in Ludwigsfelde und Ansprüche der Gemeinde Ludwigsfelde auf Werkgelände und Inventar des ehemaligen Daimler-Benz-Werkes Genshagen in Ludwigsfelde; 1946-1949