Die alte „Fliegerschule“ von Ludwigsfelde

Fliegerschule in Genshagen

Blick auf das Gelände der Fliegertechnischen Vorschule in Genshagen (v.l. Turnhalle, Küche/Speisesaal, Unterkunftsgebäude)

Am Stadtrand von Ludwigsfelde, im Birkengrund, befindet sich ein Objekt, das vielen Ludwigsfeldern als „Fliegerschule“ bekannt sein dürfte. Vor 80 Jahren wurde es eröffnet.

Doch bevor ich genauer darauf eingehe, muss zur Einordnung noch festgestellt werden, dass es sich hierbei nicht um die Schule, sondern lediglich um einen Teil davon, das Unterkunftsobjekt – eine Art Internat – gehandelt hat.

Tatsächlich war dem Daimler-Benz-Flugmotorenwerk auch eine von deutschlandweit mehr als 30 Fliegertechnischen Vorschulen der Luftwaffe (Fl.T.V.) angegliedert. Die ersten davon wurden bereits 1937 gegründet. Sie waren über das ganze Reich verteilt und bei den großen Flugzeug-, Flugmotoren-, Waffen- und Zubehörfirmen angesiedelt. Aus der Ausbildung sollten Spezialkräfte hervorgehen, die auf ihrem engeren Fachgebiet genauestens Bescheid wissen und deren Können und Wissen mit der in der Luftfahrt besonders schnellen Entwicklung Schritt hält.

An die Bewerber für diese Schulen wurden recht hohe Anforderungen gestellt. Sie wurden aus den 14 bis 15-jährigen Volksschülern von den Berufsberatungsstellen der Arbeitsämter, an die Bewerbungen ausschließlich zu richten waren, nach einheitlichen Gesichtspunkten vorausgelesen und mussten eine Reihe von Vorbedingungen erfüllen. Verlangt wurden die deutsche Staatsbürgerschaft, arische Abstammung, Unbescholtenheit, eine voraussichtliche Tauglichkeit für den Dienst in der Fliegertruppe, der erfolgreiche Abschluss der Volksschule mit der 1. Klasse (Schüler höherer Lehranstalten, Mittelschüler mit nicht abgeschlossener Schulbildung und solche Jungen, die bereits eine Lehrstelle hatten, kamen nicht in Frage) und die Bereitschaft, nach ihrer Ausbildung 4½ Jahre freiwillig in der Luftwaffe zu dienen (bei Eignung zum Unteroffizier verlängerte sich diese Verpflichtung auf 12 Jahre). Zusätzlich gab es noch eine ganze Reihe von sozialen, körperlichen und seelischen Anforderungen bzw. Ausschlussgründen. Diese wurden bei der Endauslese durch eine Auswahlkommission unter Vorsitz eines Offiziers der Luftwaffe geprüft. Hatten die Schüler diese Hürde geschafft, konnten sie mit der Ausbildung beginnen.

Die Fliegertechnischen Vorschulen waren, wie auch bei unserer Schule, in verschiedene Teile gegliedert. Als erstes muss hier die Lehrwerkstatt genannt werden. Dort fand der größte Teil der Ausbildung statt. Die Schüler erlernten hier und bei späteren Einsätzen im Betrieb ihre praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Für den theoretischen Unterricht gab es die Werksberufsschule. Die Unterkünfte sorgten für die charakterliche, militärische und sportliche Erziehung der Jugendlichen. Auch der Segelflugsport gehörte dazu.
Die Militärschüler der Fliegertechnischen Vorschulen wurden als Metallflugzeugbauer, Maschinenschlosser (Motorenbauer), Mechaniker (Waffenbauer) und Elektromechaniker (Flugzeugelektriker) 4 Jahre lang ausgebildet.

Mit dem Beginn ihrer Ausbildung bekamen die Schüler die gesamte Dienstkleidung und Ausrüstung kostenlos zur Verfügung gestellt. Ebenso waren die gesamte Ausbildung, die Unterkunft und Verpflegung für die Schüler kostenfrei. Sie bekamen zusätzlich noch ein kleines Taschengeld, das mit der Dauer der Ausbildung noch anstieg. Es betrug 0,10 RM pro Tag im ersten Lehrjahr, 0,20 RM im zweiten und 0,30 RM im dritten Lehrjahr.

Lehrwerkstatt

Das Innere einer Lehrwerkstatt (hier Heinkel in Oranienburg)

Die technische Ausbildung, die im Vordergrund stand, teilte sich in zwei Abschnitte: 2 Jahre Lehrwerkstatt und 2 Jahre betriebliche Ausbildung. In den ersten beiden Jahren wurden die Militärschüler zusammen mit den werkseigenen Lehrlingen der Industrie in den Lehrwerkstätten, die bei allen Luftfahrtbetrieben neuzeitlich eingerichtet worden sind, mit den handwerklichen Fertigkeiten ihres Berufes gründlichst vertraut gemacht. Nach dieser 2-jährigen Grundausbildung wurden die Militärschüler für weitere 1,5 Jahre den einzelnen Abteilungen des Betriebes, wie Montage, Entwicklung, Reparatur usw., zugeteilt, in denen sie im Hinblick auf ihre spätere Verwendung im technischen Dienst der Fliegertruppe besonders viel lernen konnten. Nach 3,5-jähriger Lehrzeit legten sie schließlich die Facharbeiterprüfung vor der zuständigen Industrie- und Handelskammer ab. Dann folgte im Interesse der vielseitigen Ausbildung für die Metallflugzeugbauer ein kurzer Austausch in ein Flugmotorenwerk und für die Flugmotorenschlosser in ein Flugzeugwerk. Auch bei den Waffenbauern wurde ein Austausch von dem Schusswaffenwerk in ein Abwurfwaffenwerk und umgekehrt durchgeführt. Die Elektromechaniker, die später die gesamte elektrische Bordanlage zu betreuen hatten, wurden ebenfalls für eine bestimmte Zeit von ihrem elektromechanischen Ausbildungswerk in ein Flugzeugwerk versetzt.
Im Laufe des letzten Halbjahres wurden die Militärschüler schließlich in einem sogenannten Übungsfeld, das das gesamte Fluggerät enthielt, in konzentrierter Form in alle Einzelheiten, die für die Kenntnis des Geräts wesentlich sind, eingewiesen.

Arbeiten der auszubildenden Metallflugzeugbauer

Arbeiten des Grundlehrgangs für Metallflugzeugbauer

Neben der praktischen Ausbildung erhielten die Militärschüler bis zur Facharbeiterprüfung wöchentlich einen 8-stündigen Unterricht in den Werkberufsschulen der Luftfahrt. Gerade auf die schulische Ausbildung und auf die Vermittlung eines ausgedehnten Fachwissens wird damals größter Wert gelegt. Der Unterricht erstreckte sich auf Fachkunde, Fachrechnen, Fachzeichnen und Staatsbürgerkunde. Außerdem erhielten die Militärschüler ab dem 3. Lehrjahr einen zweistündigen zusätzlichen elektrotechnischen Unterricht, weil inzwischen immer mehr elektrische Geräte und Instrumente im Flugzeug Aufnahme fanden. Die Schüler sollten so befähigt werden, auch in diesem Bereich kleinere Reparaturen vornehmen zu können.

Die zu den Fliegertechnischen Vorschulen gehörigen Unterkünfte waren keinesfalls allein zum Schlafen da. Auch hier setzte sich die Ausbildung fort, allerdings ging es hier um die charakterliche Ausrichtung der Menschen. Man legte hierbei Wert auf die Erziehung zu Geradheit, Aufgeschlossenheit, Straffheit, Disziplin, Entschlossenheit und Einsatzbereitschaft im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung. Zur Durchsetzung dieser Aufgabe standen eine Reihe von Erziehern bereit. Verantwortlich für eine Unterkunft war ein Hauptführer, dem je 100 Militärschüler und zwei Zugführer zur Seite standen. Weiteres Personal stand für spezielle Bereiche (Verwaltung, Küche usw.) zur Verfügung. Die Unterkünfte selbst sind ausgestattet mit Speisesälen, Küchenanlagen, Wasch- und Duschräumen, Schulungsräumen, Schreib- und Lesezimmern, Krankenrevieren, Sporthallen, Sportplätzen und tlw. sogar Schwimmbädern.
Unterricht wurde auch in den Unterkunftsobjekten erteilt. Allerdings geschah dies in aufgelockerter Form, teils mit viel Bild- und Filmmaterial, anders als der Fachunterricht in den Betrieben. Anhand der Fächer lassen sich die Bildungsziele recht gut beurteilen. Gelehrt wurden beispielsweise Rassenkunde, Vererbungslehre, Deutsches Soldatentum, Bevölkerungspolitik, Heimat- und Volkskunde, Nationalpolitik usw. Großer Wert wurde auf die körperliche Ertüchtigung gelegt. Sie erstreckte sich auf Leichtathletik, Schwimmen, Turnen, Boxen, Schießen, Fußball oder Handball. Später kam noch der Segelflugsport dazu. Der sollte in den Ferien auf den Segelflugschulen des NS-Fliegerkorps und am Wochenende im Rahmen des örtlichen Dienstes der Flieger-HJ betrieben werden. Nach Möglichkeit sollten alle Militärschüler den A-, B- und C-Schein erwerben.

Militärschüler bei Daimler-Benz

Lehrausbilder Heimann (li.), Meister Anders (mi.) und ein ein Militärausbilder (re.) mit Militärschülern bei Daimler-Benz

Das Daimler-Benz Flugmotorenwerk begann mit der Ausbildung von werkseigenen Lehrlingen am 1. Juli 1937. Damals stand dazu nur eine Anlernwerkstatt zur Verfügung. Im Folgejahr im Oktober kamen dann auch die ersten Militärschüler hinzu. Ein Ausbau der Lehrwerkstatt zu einer richtigen Lehrwerkstatt mit angeschlossener Berufsschule war notwendig geworden und im April 1939 vollzogen. Weitere Lehrlinge und Militärschüler können ihre Ausbildung beginnen. Das Unterkunftsobjekt wurde im Jahre 1938 erbaut. Auf dem Gelände außerhalb des Daimler-Benz Werkes in der Nähe des Osttores, vom Werk getrennt durch die Berlin-Anhalter Bahn, befanden sich das große Unterkunftsgebäude, das Küchengebäude samt Speisesaal, eine Turnhalle sowie ein separates Unterkunftsgebäude für die Lehrer. Auf dem Gelände war auch ein Sportplatz mit einer 400m-Laufbahn angelegt worden. Die übrigen Bereiche waren als Park gestaltet.

Neben dem Bau von Segelflugzeugmodellen in einer Werkstatt im Keller des Unterkunftsgebäudes erlernten die Militärschüler auch das Segelfliegen selbst auf in der Nähe gelegenen Flugplätzen. Dort hatte das Nationalsozialistische Fliegerkorps (NSFK) Segelflugschulen eingerichtet. Zum Training für den A-Schein ging es nach Trebbin (heute Flugplatz Schönhagen). Für die Prüfung musste man 15 Jahre alt sein, mindestens 30 Schul- und 5 Prüfungsflüge absolviert haben und den Geradeausflug sowie einwandfreie Starts und Landungen beherrschen. Der B- und C-Schein wurde in Neue Mühle (Niederlehme) abgelegt.

Abzeichen für Absolventen von Fliegertechnischen Vorschulen

Abzeichen für Absolventen von Fliegertechnischen Vorschulen

Die Zugehörigkeit zur Fliegertechnischen Vorschule wurde bei den Militärschülern in Form eines Ärmelstreifens auf ihren Uniformen gekennzeichnet. Die Aufschrift lautete „Fl. Techn. Vorschule“. Ab 1942 wurde der Aufnäher rautenförmig und enthielt die Aufschrift „Techn. Vorschule der Luftwaffe“. Dies liegt in der Namensänderung dieser Einrichtungen begründet. 1942 erfolgte eine Umbenennung in Technische Vorschule der Luftwaffe (T.V.d.Lw.), im Oktober 1944 eine weitere zu Ausbildungsheim der Flieger-HJ. Damit verbunden war dann eine komplette Ausgliederung aus dem Bereich der Luftwaffe und Übernahme dieser Schulen in die Flieger-HJ der Reichsjugendführung. Ehemalige Militärschüler, die zur Fliegertruppe übergetreten waren, trugen ein rundes Abzeichen (siehe Foto), festgelegt durch eine Verordnung der Luftwaffe aus dem Jahre 1941.

Am 1. April 1940 betrug die Gesamtzahl der Auszubildenden bei Daimler-Benz 520, wovon 220 Militärschüler waren. Die Lehrwerkstatt teilten sich die werkseigenen Lehrlinge mit den Militärschülern. In der 2200 m2 großen Halle standen 350 Schraubstockplätze, 120 Werkzeugmaschinen, eine Schmiede, eine Härterei und eine Schweißerei zur Verfügung. Das Werk erhielt für seine vorbildliche Berufserziehung am 1. Mai 1940 das Leistungsabzeichen der Deutschen Arbeitsfront. Das direkt neben der Lehrwerkstatt befindliche Theoriegebäude hatte 5 Klassenräume, einen Physik- und einen Zeichensaal.

Den großen Bombenangriff auf das Daimler-Benz Werk vom 6. August 1944 überstanden die Einrichtungen der Fliegertechnischen Vorschule weitestgehend unbeschadet. Lediglich Reparaturen an den Dächern am Unterkunftsobjekt waren notwendig.

Noch vor Ende des Krieges – nach dem Einmarsch der sowj. Truppen in Ludwigsfelde im April 1945 – wird das Unterkunftsgebäude zu einem Lazarett umfunktioniert. Am 27.12.1946 beantragte der damalige Bürgermeister Schenk bei der SMAD die Übereignung des Gebäudekomplexes zum Zwecke der Neulehrerausbildung. Dies wurde genehmigt und im September des Folgejahres konnten die Lehrgänge beginnen. 1952 wurde im Erdgeschoss des Unterkunftsgebäudes ein Betriebsambulatorium sowie die Aufbauleitung des VEB Industriewerke Ludwigsfelde eingerichtet. Das Ambulatorium blieb auch noch dort, als ein Jahr das Obergeschoss zum Lehrlingswohnheim wird. 1954 ist dann das ganze Gebäude ein Lehrlingswohnheim der Betriebsberufsschule „Philipp Müller“ und bleibt dies auch bis 1992. Danach ist es der Kommune unterstellt.

Zwischen 1998 und 2001 wurde auf dem Gelände der ehemaligen Fliegertechnischen Vorschule ein modernes Oberstufenzentrum errichtet und eröffnet. Dazu wurden neben einem kompletten Neubau auch die alte Turnhalle rekonstruiert und das Küchen-/Speiseraumgebäude umgebaut.

Das alte Unterkunftsgebäude ist heute ein Übergangswohnheim mit 173 Plätzen unter Leitung des Landkreises.

Quellen:

  • „Flugsport-Illustrierte technische Zeitschrift und Anzeiger für das gesamte Flugwesen “Nr. 7 vom 2. April 1941
  • Erwin Krause, Die Jüngsten der Luftwaffe, Berlin 1939
  • „Luftwaffenrevue“ Nr. 2/2013
  • Kreisarchiv Luckenwalde: Wertabschätzung für die Gebäude der Fliegerschule vom 16.12.1945
  • Wikipedia-Artikel: Nationalsozialistisches Fliegerkorps
  • Luftwaffen-Verordnungsblatt vom 26.05.1941
  • Mitteilungen aus dem Mercedes-Benz-Archiv: Daimler-Benz Motoren GmbH – Genshagen – Ein Flugmotorenwerk bei Berlin (nicht veröffentlicht)
  • Kreisarchiv Luckenwalde: Antrag des Bürgermeisters Schenk an die SMAD zur Übereignung von Gebäuden des ehem. Daimler-Benz Flugmotorenwerkes vom 27.12.1946
  • Birk, M. Stutzki: Ludwigsfelde – Geschichte in Bildern, Erfurt 1999
  • Dietrich Carow, Die medizinische Versorgung in Ludwigsfelde, 2006
  • Webseite des OSZ Luckenwalde

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